Der Fußball in unserer Region leidet – wie vielerorten – am Schiedsrichter-Mangel. Zwar kam es bisher in unseren Breiten noch selten vor, dass Spiele ohne einen Unparteiischen angesetzt werden, die Zunft klagt aber über viele, teilweise zu viele Einsätze der noch aktiven Schiedsrichter. Ideen, wie diese Crux beendet werden kann, gibt es. Eine vielversprechende Initiative des RSV Göttingen 05 unter Führung von Schiedsrichter Torsten Baehnisch im Zeichen der Ausbildung von Nachwuchsschiedsrichtern sei hier erwähnt (Gökick berichtete). Immer wieder finden sich aber in den Vereinen ehemalige Spieler oder Funktionäre, die auch im fortgeschrittenen Alter eine neue Karriere als pfeifende Spielleiter einschlagen, wie Esmir Muratovic, Jörg Lohse, Nicolas Ficks oder Dr. Kay Terpe. Über die Beweggründe des Pfeifens und die erwachte Leidenschaft als Schiedsrichter sprach Gökick mit dem 53 Jahre alten Kalle Kurmes, der vor vier Jahren als Unparteiischer begann.

Kalle dürfte in der Göttinger Fußballszene vielen Spielern, Trainern, Funktionären und inzwischen auch den neuen Kollegen der pfeifenden Zunft bekannt sein. Er spielte viele Jahre für die SVG in den Reservemannschaften, trainierte diese später selbst und half seinen Trainer-Nachfolgern als Betreuer. 2019 wurde er für sein jahrelanges Engagement mit dem Ehrenamtspreis des NFV-Kreises ausgezeichnet – hochverdient. 41 Jahre lang war er für den Fußball aktiv und er wird es, wie er berichtet, auch noch mindestens weitere zwölf Jahre bleiben. Denn dann hat er das 65. Lebensjahr vollendet und möchte zu diesem Zeitpunkt überdenken, ob seine Gesundheit es noch zulässt, weiter aktiv Fußballspiele in der Region zu leiten. Knieprobleme, die damals das Ende seiner Laufbahn als Spieler bedeuteten, schränken ihn als Schiedsrichtere kaum ein. „Da ich mich aber nicht auf die Couch zurückziehen wollte und mich gern bewege, konnte ich so als Schiedsrichter dem Fußball treu bleiben!“. Wer sich mit Kalle in den vergangenen Jahren unterhalten hat, der weiß, wie gern der Bayern München-Fan über seine Erlebnisse als Schiedsrichter spricht. Es ist zu seiner späten Leidenschaft geworden. 

Im November 2018 kam er eher zufällig zur Schiedsrichterei. Ein SVG-Reserve-Spieler erzählte ihm, dass dieser sich für den nächsten Anwärter-Lehrgang angemeldet hätte. Spontan schloss sich Kalle an. Er bestand die Prüfung und wurde sofort in die „Schlacht“ geschickt. Seither ist Kalle auf vielen Plätzen der Region zu sehen. „Immer wieder treffe ich alte Weggefährten, die jetzt als Trainer, Betreuer, Aktive oder lediglich als Zuschauer auf den Sportplätzen sind. Da gibt es immer wieder viel zu bereden. Aber es sorgt auch für gegenseitigen Respekt. Auf jeden Fall bereitet es jede Menge Spaß!“, so der Zahntechniker, der in Lenglern wohnt. Kalle lehnt fast keine Ansetzung ab. In den letzten neun Monaten des Vorjahres war er bei 62 Punktspielen oder Turnieren auf 44 Plätzen und Hallen im Einsatz. „Als ehemaliger Aktiver habe ich eine größere Akzeptanz. Viele Spieler begrüßen mich mit Vornamen, vor ein paar Jahren standen wir noch als Gegner oder Kameraden auf dem Platz.“, so der 1,85 Meter große und 102 Kilogramm schwere, ehemalige Verteidiger. Schon durch sein körperlichen Ausmaße besitzt Kalle eine natürliche Autorität. „Probleme gibt es ganz selten. Auch ich bin nicht fehlerfrei, da ich aber selbst gekickt habe, kann ich schnell Brücken bauen und finde meist die richtige Ansprache.“. 
Sehr gern pfeift der Familienvater von zwei Kindern beim ESV Rot-Weiß Göttingen. Uli Hartung sei in seinen Augen einer der herzlichsten Menschen in der Fußballszene. Aber auch auf die Spiele in Elliehausen, in Rosdorf oder auf dem Hainberg freut sich Kalle immer schon bei den Ansetzungen.
Für die aktuellen Probleme im Schiedsrichterwesen hat Kalle kein Patentrezept. Ihm selbst ist es noch nicht gelungen, Freunde oder Weggefährten zu einer Schiedsrichter-Karriere zu verhelfen, obwohl mehrfach großes Interesse angedeutet wurde. Die Vereine, so glaubt er, seien wie auch der Verband in der Pflicht, die Tätigkeit als Unparteiischer noch attraktiver zu gestalten. Viele Vorstände hatten das begriffen. Außerdem appelliert Kalle an die Eltern von Nachwuchsspielern, sich gerade bei Jungschiedsrichtern etwas ruhiger zu verhalten. „Wenn die Eltern den Schiedsrichter permanent beleidigen oder dessen Entscheidungen infrage stellen, wie soll da ein Kind Respekt aufbauen?“, fragt sich Kalle. Auch einige Trainer seien in seinen Augen viel zu emotional. „Da schauen einige wohl zu viel Bundesliga!“. Es ginge immer nur miteinander, gerade im Amateurfußball. „Schön wäre es, wenn die Trainer die Regeln auch beherrschen würden.“, lächelt Kalle und kann sofort wieder einige Episoden der vergangenen vier Jahre als Schiedsrichter zum Besten geben.